Kindeswohlgefährdung: Was tun bei Verdacht?

Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung sind zwei sehr abstrakte Begriffe im deutschen Recht. Die Schwierigkeit liegt darin, dass es keine genaue Definition gibt, die klar abgrenzt, was unter Kindeswohl zu verstehen ist. Gefährlicher wird es noch bei der Kindeswohlgefährdung. Denn auch eine falsche Anschuldigung führt in den meisten Fällen zu einer Untersuchung durch das zuständige Jugendamt. Was genau unter Kindeswohlgefährdung zu verstehen ist und was Sie tun können, wenn Sie einen begründeten Verdacht haben, lesen Sie hier.

Autor:  Redaktion DAHAG Rechtsservices AG.

Kindeswohlgefährdung: Das Wichtigste im Überblick

Was ist Kindeswohlgefährdung?

Man könnte es ganz einfach formulieren: Ist das Wohl des Kindes gefährdet, liegt Kindeswohlgefährdung vor. Aber da der Begriff des Kindeswohls selbst nicht konkret definiert ist, verhält es sich mit dessen Gefährdung auch etwas komplizierter. Zusammenfassend ist unter Kindeswohlgefährdung jedes Verhalten zu verstehen, das sich negativ auf die Entwicklung oder den Gesundheitszustand des Kindes auswirkt. Dabei muss dieses Verhalten nicht zwingend aktiv sein, sondern kann auch in Form von Unterlassung oder Vernachlässigung auftreten.

Der Bundesgerichtshof definiert Kindeswohlgefährdung in seinem Beschluss vom 23.11.2016 (Az. XII ZB 149/16) folgendermaßen:

„Eine Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 Abs.1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) liegt vor, wenn eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr festgestellt wird, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt.“

So umfasst die Definition des Bundesgerichtshofs nicht nur das tatsächliche Auftreten eines gefährdenden Verhaltens, sondern auch die Wahrscheinlichkeit – also die Möglichkeit, dass ein gefährdendes Verhalten auftreten könnte. Ein weiterer Aspekt liegt in der Definition des Bundesgerichtshofs auf der Schwere der Schädigung des Kindes. Je schwerer das Kind durch ein eventuell auftretendes Verhalten geschädigt werden könnte, desto unwichtiger wird, ob dieses Verhalten tatsächlich auftritt oder nur eventuell auftreten könnte.

Im Fokus steht also immer die Wahrung des Kindeswohls. Diese rechtfertigt im Sinne des Bundesgerichtshofs auch präventive, also vorbeugende Maßnahmen.

Formen der Kindeswohlgefährdung: Wann ist das Kindeswohl gefährdet?

Hinter Kindeswohlgefährdung verbirgt sich selten eine böswillige Absicht eines oder beider Elternteile (oder auch der Erziehungsberechtigten, falls das nicht die Eltern sind). In den überwiegenden Fällen steckt dahinter Unwissenheit oder Überforderung der Erziehungsberechtigten. Die Definition von Kindeswohl und dessen Gefährdung werden im deutschen Recht relativ abstrakt gehalten. Dennoch lassen sich ganz explizite Formen der Kindeswohlgefährdung aufzählen:

  • Vernachlässigung des Kindes
  • Vernachlässigung der elterlichen Aufsichtspflicht
  • Gewalt und physische Misshandlung
  • Sexueller Missbrauch oder sexuelle Gewalt
  • Seelische Misshandlung
  • Extreme Überbehütung
  • Verweigerung ärztlicher Behandlungen
  • Häusliche Gewalt (Gewalt der Eltern gegeneinander, die das Kind miterleben muss)

Verdacht auf Kindeswohlgefährdung: Soll ich das Jugendamt informieren?

Sind Sie besorgt um Kinder in Ihrem Umkreis? Bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung können Sie sich an verschiedene Beratungsstellenwenden. Dazu gehören Kinderschutzzentren oder Familienberatungsstellen. Dort haben Sie die Möglichkeit mit den Therapeuten herauszufinden, ob Ihr Verdacht begründet ist und wie Sie sich weiterhin verhalten sollen. Bei einem berechtigten Verdacht können Sie eine Kindeswohlgefährdung direkt beim zuständigen Jugendamt melden.

Wann schreitet das Jugendamt ein?

Liegen tatsächlich Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vor, ist das zuständige Jugendamt gemäß § 8a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) dazu verpflichtet, aktiv zu werden. Das führt nicht immer dazu, dass das Jugendamt die Kinder in Obhut nimmt, also den Erziehungsberechtigten wegnimmt. Vielmehr bietet es Angebote zur Unterstützung und Beratung der Eltern.

Der Verdacht auf Kindeswohlgefährdung rechtfertigt dann auch einen Hausbesuch durch das Jugendamt. Sollten die Eltern ihre Mithilfe gegenüber dem Jugendamt verweigern, kann das Jugendamt allerdings auch gegen den Willen der Eltern handeln und beispielsweise dem Kind zu einer ärztlichen Behandlung verhelfen, die die Eltern ihm verweigert haben.

Kann das Sorgerecht der Eltern eingeschränkt werden?

Die Rechte der Eltern kann das Jugendamt selbst nicht beschränken. Dafür muss das Familiengerichteingeschaltet werden. Dieses kann dann als letzte Maßnahme schließlich auch das Sorgerecht einschränken. In der Regel versucht es aber, mit den Eltern eine einvernehmliche Lösung zu finden und bietet Unterstützung, wie beispielsweise ambulante Erziehungshilfen, an.

Der Grundsatz, dass Kinder zu ihren Eltern gehören, ist für das Familiengericht sehr wichtig. Erst wenn wirklich eine akute Gefährdung der Gesundheit oder Entwicklung des Kindes vorliegt oder die Eltern mit der Sorge und Erziehung eindeutig überfordert sind, greift es zum Schutz des Kindes ein und beschränkt das Sorgerecht der Eltern.

Bin ich verpflichtet, das Jugendamt zu informieren?

Bestimmte Berufsgruppen – Lehrer*innen, Erzieher*innen, Ärzte und Ärztinnen, Hebammen und Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe – sind dazu verpflichtet, einen Verdacht auf Kindeswohlgefährdung zu melden. Diese Verpflichtung geht aus den Regelungen zum Schutzauftrag gemäß § 8a SGB VIII hervor.

Sie müssen nicht sofort das Jugendamt informieren, sondern müssen zuerst das Gefährdungsrisiko einschätzen. Das erfolgt in der Regel im Gespräch mit Fachkollegen. Im konkreten Verdachtsfall müssen zuerst die Eltern informiert werden. Können oder wollen diese die Gefährdung nicht abwenden, muss dann das Jugendamt informiert werden.

Tipp: Lieber einmal zu viel anrufen

Wenn Sie nicht zu einer der genannten Personengruppe (Lehrer*innen, Erzieher*innen, Ärzte und Ärztinnen, Hebammen oder Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe) zählen, sind Sie zwar nicht verpflichtet, bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung aktiv zu werden. Dennoch sollten Sie lieber einmal zu oft bei den Beratungszentren anrufen als einmal zu wenig.


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