Kann das Jobcenter bewilligtes Arbeitslosengeld zurückfordern?

Online-Rechtsberatung
Stand: 10.03.2015
Frage aus der Online-Rechtsberatung:

Im September 2013 eröffnete mir mein Arbeitgeber, dass er uns zum Dezember kündigen wird. Ich sah mich also nach einer neuen Arbeitsstelle um.

Leider unterschrieb ich dann im September 2013 einen Aufhebungsvertrag. Ich erhielt keine neue Arbeitsstelle und meldete mich sogleich arbeitsuchend. Nach vielem Hin und Her, bekam ich im Oktober die Aussage, dass ich eine Sperrzeit von 12Wochen erhielte und somit kein ALGI
Daraufhin stellte ich einen ALGII Antrag. Dieser wurde abgelehnt.

Grund hierfür war lt. Jobcenter, dass mein Lebensgefährte im November zu viel Geld verdient habe.
Tatsächlich hat mein Partner in diesem Monat 2x Gehalt erhalten, da das Gehalt aus dem Oktober erst verspätet überwiesen wurde. Es griff aber das Zuflussprinzip.

Da ich aber dennoch für die Monate September, Oktober, Dezember und Januar (Mitte Januar 2014 hatte ich einen neuen Job) noch Anspruch auf ALGII hatte, ging ich vor Gericht.

Es gab eine Verhandlung, die ich auch gewann. Mir (bzw mir und meinem Lebensgefährten) wurden die entsprechenden Gelder zugesagt.

Vor einer Woche bekam ich einen Brief, in dem ich vom JC aufgefordert werde 70% des erhaltenen Geldes ALLER Monate zurückzuzahlen.

Als Grund gaben sie "sozialwidriges Verhalten" an, da ich meine Kündigung selbst herbei geführt habe durch den Aufebungsvertrag.

Ist das Gerichtsurteil denn nicht bindend?
Welche Möglichkeiten habe ich jetzt noch?
Kann das JC, wenn überhaupt von allen Monaten das Geld zurückfordern?
Denn eine Sperre beläuft sich nur über 3 Monate und das wären dann September, Oktober und November?

Antwort des Anwalts

Ist das Gerichtsurteil denn nicht bindend?

die Auswertung Ihrer Angaben ergibt, daß dem Rückforderungsbescheid, der erging, nachdem Sie bereits vor Gericht obsiegt hatten, tatsächlich der Einwand der Rechtskraft (bzw. Res Judicata oder der entschiedenen Rechtssache) entgegen gehalten werden kann.

Welche Möglichkeiten habe ich jetzt noch?

Der Rückforderungsbescheid könnte ganz oder teilweise rechtswidrig sein, eventuell sogar nichtig, was sich nach § 45 VwVfG *1) richtet.

Nichtig ist ein Verwaltungsakt dann, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Da einer im Gesetz genannten Regelfälle hier nicht vorliegt (z.B. fehlende Zuständigkeit der Behörde), scheint mir allerdings fraglich zu sein, ob die Nichtigkeit dennoch offensichtlich ist.

Tipp: Stellen Sie der Form halber mit Hinblick auf die schon erfolgte Gerichtsentscheidung Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Rückforderungsbescheids.

Dennoch müssen Sie vorsichtshalber auch den neuen Rückforderungsbescheid formell ebenso anfechten wie den alten Ablehnungsbescheid und sich dabei besonders mit der Begründung auseinander setzen.

Tipp: Fechten Sie den Rückforderungsbescheid in einem zweiten form- und fristgerecht an.

Wenn die Behörde z.B. spätere Kenntnis behauptet, könnte die Rechtskraft auch einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung insoweit nicht notwendiger Weise einer erneuten Rückforderung entgegenstehen.

Kann das JC, wenn überhaupt von allen Monaten das Geld zurückfordern? Denn eine Sperre beläuft sich nur über 3 Monate und das wären dann September, Oktober und November?

Für die Rückforderung von Leistungen kommt es darauf an, ob sie ursprünglich zu Recht oder zu Unrecht gezahlt wurden.

Wenn sie zu Recht gezahlt wurden, also der Bescheid rechtmäßig war, kommt eine Rückforderung sowieso nicht in Frage.

Nur dann, wenn die ursprünglich Zahlung rechtswidrig war, kommt eine rückwirkende Rückforderung noch in Frage.

Hier steht allerdings zunächst einmal das Argument der Rechtskraft entgegen. Eine spätere Rückforderung käme nur dann in Frage, wenn die Rechtskraft sich nicht auf diesen neuen, und anderen Sachverhalt bezöge.

Es kommt also darauf an, ob die Behörde die Gründe für die spätere Rückforderung derselben Leistungen auch in dem Gerichtsverfahren hätte vorbringen können und das nachweislich versäumt hatte. Dann wäre wohl die sogenannte Präklusion, also der Ausschluss mit neuem Vorbringen, anzunehmen und der Rückforderungsbescheid wäre allein aus diesem formalen Grund (teilweise) rechtswidrig bzw. sogar nichtig.

Allerdings scheint es hier einen zeitlichen Bereich zu geben, der von der vorliegenden Gerichtsentscheidung nicht abgedeckt ist. Insoweit ist auch die Rückforderung sicherlich immer noch zulässig bzw. denkbar.

Einer späteren Aufhebung und der Rückforderung bereits gewährter Leistungen könnte dennoch Vertrauensschutz entgegenstehen.

Ob Sie hier schutzwürdiges Vertrauen geniessen, wird zentrale Frage dieses Falls sein.

Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nach § 45 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) jedenfalls dann nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, bzw. wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Die Behörde wird in dem betreffenden Bescheid Ihnen vermutlich solch einen Verstoss vorgeworfen haben, mit dem Sie sich nun vorsorglich trotz des bereits ergangenen Urteils genau auseinandersetzen sollten.

Zu der Frage des schutzwürdigen Vertrauens kann ich natürlich nur detailliert Stellung nehmen, sofern mir die genaue Formulierung des Bescheids bekannt ist. Sie müssen sich jedenfalls mit den dort sicherlich erhobenen Vorwürfen akribisch genau auseinander setzen.

Letztendlich wird man darüber hinaus die Frage zu untersuchen haben, wie weit die Rechtskraft des vorliegenden bereits erfolgten Urteils reicht, was u.a. auch von dem genauen Ausspruch (Tenor) abhängt im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Antrag und den darauf ergangenen – angefochtenen Bescheid in Form des Widerspruchsbescheids, und ob die nun der Aufhebung zugrunde liegenden Tatsachen bereits Gegenstand des Rechtsstreit waren bzw. ob die Behörde dieses jetzt erst in einem neuen Bescheid geltend machen dürfen.

Sofern die Behörde die Entscheidung als vorläufig vollstreckbar erklärt haben sollte, sollten Sie auch daran denken, gegebenenfalls zugleich Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wegen offensichtlicher Rechtswidrigkeit zu stellen, mit Hinweis auf die bereits ergangene Gerichtsentscheidung.

*) Unter meiner Antwort befinden sich:

Fußnoten, Zitate von einschlägigen Gesetzestexten, Urteilen, weiterführende Literatur, Links im Internet etc.

*1) § 44 VwVfG Nichtigkeit des Verwaltungsaktes

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

  1. der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt;

  2. der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt;

  3. den eine Behörde außerhalb ihrer durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 begründeten Zuständigkeit erlassen hat, ohne dazu ermächtigt zu sein;

  4. den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann;

  5. der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht;

  6. der gegen die guten Sitten verstößt.
    (3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

  7. Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind, außer wenn ein Fall des Absatzes 2 Nr. 3 vorliegt;

  8. eine nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat;

  9. ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war;

  10. die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.
    (4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

*2) § 45 SGB X Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

  1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
  2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
  3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
    (3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn
  4. die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
  5. der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
    In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.
    (4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
    (5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.
Bei der vorliegenden Antwort, welche ausschließlich auf Angaben des Kunden basiert, handelt es sich um eine erste rechtliche Einschätzung des Sachverhaltes zum Zeitpunkt der Anfragestellung. Diese kann eine umfassende Begutachtung nicht ersetzen. Durch Hinzufügen oder Weglassen relevanter Informationen kann die rechtliche Beurteilung völlig anders ausfallen.

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