Muss ich die Überbauung der Nachbarin dulden?

Online-Rechtsberatung
Stand: 04.02.2014
Frage aus der Online-Rechtsberatung:

Meine Nachbarin lässt ihr Flachdach erneuern. Eingeschlossen ist eine thermische Isolierung der umlaufenden Attika. Da das Nachbarhaus auf der Grundstücksgrenze steht, würde die Isolierung zu einer Überbauung meines Grundstücks auf ca. 9m erfolgen.
Angaben über das tatsächliche Maß (Dicke) der Überbauung konnte die Nachbarin nicht machen.
Da diese Maßnahme nach Auskunft des Bauordnungsamts der Gemeinde nicht genehmigungspflichtig ist, ist das private Baurecht anzuwenden. Das bedeutet wohl, dass ich die Überbauung wohl nicht dulden muss. Um das Verhältnis zur Nachbarin nicht zu belasten (die Handwerker sind schon zugange), ist die Frage, ob eine formlose Duldungsvereinbarung ausreicht um mir die Möglichkeiten einer Isolierung an meinem Haus, bzw. einer Gebäudeveränderung, der die Isolierung des Nachbarhauses im Wege stände, zu sichern. Da die Isolierung der Attika des Nachbarhauses diesen Maßnahmen im Wege wären und teilweise oder gänzlich entfernt werde müssten. Auf wessen Kosten?
Würde eine solche Vereinbarung ihre Gültigkeit auch bei einem Besitzerwechsel gelten?

Antwort des Anwalts

Frage: Das bedeutet wohl, dass ich die Überbauung wohl nicht dulden muss. Um das Verhältnis zur Nachbarin nicht zu belasten (die Handwerker sind schon zugange), ist die Frage, ob eine formlose Duldungsvereinbarung ausreicht um mir die Möglichkeiten einer Isolierung an meinem Haus, bzw. einer Gebäudeveränderung, der die Isolierung des Nachbarhauses im Wege stände, zu sichern. Da die Isolierung der Attika des Nachbarhauses diesen Maßnahmen im Wege wären und teilweise oder gänzlich entfernt werde müssten.

Antwort Rechtsanwalt:

Die Zustimmung des Nachbarn kann formlos erteilt werden, also auch mündlich, schriftlich oder per E-Mail. Auch Einschränkungen im Rahmen der Zustimmung sind denkbar. Unabhängig davon ist es auch möglich, eine diesbezügliche Dienstbarkeit nach § 1018 BGB im jeweiligen Grundbuch eintragen zu lassen. Hier könnte man daran denken, auf beiden Grundstücken eine derartige Dienstbarkeit wegen des Überbaus durch den jeweiligen Nachbarn einzutragen.

Die diesbezüglichen Vereinbarungen (Auflassung und Eintragung im Grundbuch) müssen dann allerdings notariell beurkundet werden.

Wenn einmal eine Zustimmung erteilt wurde, dann löst sie zugleich auch die Duldungspflicht des Nachbarn aus im Sinne von § 912 BGB.

Die Frage der privaten, nachbarrechtlichen Duldungspflicht eines Überbaus ist gesetzlich geregelt in § 912 BGB *1). Daneben kann es noch landesrechtliche Besonderheiten geben, zu denen mir keine Angaben vorliegen, gegebenenfalls bitte mir noch die Angabe Ihres Bundeslandes nachreichen.

Überbau ist zunächst einmal, wie hier, auch die Überschreitung der Grundstücksgrenze nur im Luftraum (Bundesgerichtshof in Zivilsachen (BGHZ) Urt. v. 21.01.1983, Aktenzeichen V ZR 154/81, NJW 83, 1112). *2).

Nach dem Normzweck gilt § 912 BGB analog nicht nur bei Errichtung des Gebäudes, wie der Wortlaut von § 912 BGB streng genommen lautet, sondern auch bei nachträglichem Überbau.

Der Nachbar muss nach § 912 BGB einen Überbau dulden, wenn er nicht vor oder sofort nach der Grenzüberschreitung Widerspruch erhoben hat. Das Unterlassen des Widerspruchs ist jedoch noch keine Zustimmung. Der Überbau wird als rechtmäßig angesehen, wenn der Eigentümer eines Grundstücks bei der Errichtung eines Gebäudes über die Grenze baut, ohne dass ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.

Wenn der Überbau nicht rechtmäßig ist, also ohne Zustimmung des Nachbarn erfolgt ist, und der Bereich der Duldungspflicht nach § 912 BGB verlassen ist, dann bestehen Ansprüche des Nachbarn auf Beseitigung des Überbaus nach §§ 1004 BGB i.Vb.m. § 912 BGB und auch aus § 823 BGB i.Vb.m. § 912 BGB (unerlaubte Handlung).

Der Überbau ist rechtmäßig, wenn er mit Zustimmung des Nachbarn erfolgt ist, siehe weiteroben, vgl. dazu auch § 182 BGB *3).

Sie möchten, wenn ich das richtig verstehe, eine Einigung mit dem Nachbarn dahingehend erzielen daß Ihre eigene Isolierungsarbeiten vom Nachbarn gestattet werden und im Gegenzug stimmen Sie dem Überbau des Nachbarn zu, insoweit er Sie nicht an Ihren Arbeiten behindert.

Tipp: Wenn und insoweit Sie durch den Überbau an eigenen Isolierungsmaßnahmen gehindert werden, dann müssten Sie widersprechen und so verhindern, dass eine Duldungspflicht nach § 912 BGB entsteht. Später werden Sie eine Entfernung des Überbaus nicht mehr verlangen können. Sie sollten darum unverzüglich dem Überbau jedenfalls insoweit er Ihren eigenen geplanten Maßnahmen entgegen steht, schriftlich per Einschreiben widersprechen.

Der Widerspruch gegen eine erkennbare Grenzüberschreitung muss so rechtzeitig erhoben werden, dass eine Unterlassung bzw. Beseitigung ohne größeren Aufwand noch möglich ist.

Nach Ihrem Widerspruch können Sie entweder Entfernung des Überbaus verlangen, oder auf eine gütliche Einigung dringen, die auch bereits die Zustimmung zu Ihren Maßnahmen beinhaltet. Möglicherweise kann der Auftrag dann sogar zusammen vergeben werden.

Frage: Auf wessen Kosten??

Antwort Rechtsanwalt:

Das hängt von der Konstellation ab.

Wenn Sie von der Nachbarin nach rechtzeitigem Widerspruch aufgrund von §§ 1004 oder 823 BGB i.Vb.m. § 912 BGB Beseitigung des Überbaus verlangen, dann trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Nachbar als unterliegender bzw. pflichtiger Teil diese Kosten.

Sollte das gerichtlich ausgetragen werden müssen, wird das Gericht neben der Beseitigungsverfügung auch eine Kostenentscheidung treffen, die sich normaler Weise nach dem Maß des Obsiegens richtet (§ 92 ZPO). Außergerichtlich trägt jeder seine eigenen Kosten erst einmal selbst, es besteht aber gegebenenfalls ein Kostenerstattungsanspruch gegenüber der Gegenseite, der auch isoliert eingeklagt werden kann.

Frage: Würde eine solche Vereinbarung ihre Gültigkeit auch bei einem Besitzerwechsel gelten??

Antwort Rechtsanwalt:

Die erteilte Zustimmung bindet schuldrechtlich grundsätzlich nur den Eigentümer des Grundstücks selbst (§ 903 BGB), der die Zustimmung erteilt. Auf den Besitzer (Mieter etc.) kommt es dabei nicht an, denn dieser ist nicht zur Erteilung solch einer Zustimmung befugt. Bei Sonderrechtsnachfolge (also im Falle eines Eigentümerwechsels nach Verkauf der Liegenschaft) ist der Nachfolger (Käufer) zwar nicht an die Zustimmung seines Rechtsvorgängers gebunden. Der Überbau ist jedoch wegen der erteilten Zustimmung weiterhin rechtmäßig bzw. entschuldigt im Sinne von § 912 BGB, so dass dann eine Duldungspflicht für den Nachbarn besteht.

Wenn eine Grunddienstbarkeit nach § 1018 BGB im Grundbuch eingetragen ist, dann wird diese von dem Verkauf normaler Weise nicht berührt.

Ich darf abschließend noch auf die Möglichkeit in einigen Bundesstaaten eines Schlichtungsverfahrens hinweisen (in Baden-Württemberg durch die neu gewählte Regierung aus SPD und Grünen ab Mai 2013 leider abgeschafft).

*) Unter meiner Antwort befinden sich:

Fußnoten, Zitate von einschlägigen Gesetzestexten, Urteilen, weiterführende Literatur, Links im Internet etc.

*1) § 912 BGB
Überbau; Duldungspflicht

(1) Hat der Eigentümer eines Grundstücks bei der Errichtung eines Gebäudes über die Grenze gebaut, ohne dass ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, so hat der Nachbar den Überbau zu dulden, es sei denn, dass er vor oder sofort nach der Grenzüberschreitung Widerspruch erhoben hat.

(2) Der Nachbar ist durch eine Geldrente zu entschädigen. Für die Höhe der Rente ist die Zeit der Grenzüberschreitung maßgebend.
*2) Fundstelle BGH
https://www.jurion.de/de/document/show/0:72162,0/

*3) § 182 BGB
Zustimmung

(1) Hängt die Wirksamkeit eines Vertrags oder eines einseitigen Rechtsgeschäfts, das einem anderen gegenüber vorzunehmen ist, von der Zustimmung eines Dritten ab, so kann die Erteilung sowie die Verweigerung der Zustimmung sowohl dem einen als dem anderen Teil gegenüber erklärt werden.

(2) Die Zustimmung bedarf nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form.

(3) Wird ein einseitiges Rechtsgeschäft, dessen Wirksamkeit von der Zustimmung eines Dritten abhängt, mit Einwilligung des Dritten vorgenommen, so finden die Vorschriften des § 111 Satz 2, 3 entsprechende Anwendung.

Bei der vorliegenden Antwort, welche ausschließlich auf Angaben des Kunden basiert, handelt es sich um eine erste rechtliche Einschätzung des Sachverhaltes zum Zeitpunkt der Anfragestellung. Diese kann eine umfassende Begutachtung nicht ersetzen. Durch Hinzufügen oder Weglassen relevanter Informationen kann die rechtliche Beurteilung völlig anders ausfallen.

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