ALG II: Schulden bei Krankenkasse

Online-Rechtsberatung
Stand: 12.12.2017
Frage aus der Online-Rechtsberatung:

Erst einmal zur aktuellen Situation: Mein Bruder ist arbeitslos und seit Anfang letzten Jahres auch mittellos (bestehendes Vermögen aufgebraucht). Dadurch konnte er u.a. die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (TKK) nicht mehr bezahlen. Anstatt Unterstützung zu beantragen (ALG II) wodurch die Beiträge übernommen worden wären, hat er alle Anschreiben der TKK und des Hauptzollamts (als eintreibende Instanz) ignoriert und nicht einmal geöffnet. Dadurch ist es nun gekommen wie es kommen musste:

  • Da er auch die Aufforderung der TKK zur Abgabe der Einkommenserklärung nicht beantwortet hat ist sein Beitrag ab 07/2012 auf den Höchstsatz von rund 650€ (anstatt 150€ vorher) festgelegt worden. Zusammen mit den Säumniszuschlägen ist ein Beitragsrückstand von rund 11.000€ entstanden.
  • Die Versicherungsleistungen wurden auf die Grund-/Notversorgung reduziert.

Wir (meine Mutter und ich) versuchen nun dieser Situation Herr zu werden. Mittlerweile ist beim Jobcenter ALG II beantragt und wird hoffentlich demnächst positiv bewilligt.

Und jetzt zu meinen Fragen:

  • Gibt eine Möglichkeit die KK dazu zu bewegen, den auf den Höchstsatz angehobenen Beitrag rückwirkend zu reduzieren? Wenn ja auf welcher Grundlage? Laut Auskunft der TKK ist dies nicht möglich.
  • Kann das neu geschaffene "Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Kranken­versicherung“ auch auf diesen Fall (wenn vielleicht auch nur teilweise, z.B. Säumniszuschläge) angewendet werden?
  • Laut Auskunft der Sachbearbeiterin der TKK kann mein Bruder erst dann wieder mit der vollen Versicherungsleistung rechnen, wenn alle Rückstände bezahlt sind (was bei den angehäuften Schulden Ewig und drei Tage dauern kann). Ist das korrekt? Oder gibt es eine Ausnahme für Bezieher von ALG II?
Antwort des Anwalts

Ihr Bruder befindet sich was die Vergangenheit angeht in einer misslichen Lage. Da die bescheide der TKK bestandskräftig geworden sind ist deren rückwirkende Abänderung nicht mehr möglich. Ihr Bruder hat dennoch mehrere Möglichkeiten sich der Altschulden zu entledigen. Es gibt für die Krankenkassen Beitragserhebungsgrundsätze, deren Chancen ich Ihnen einfüge. Diese bieten Ihnen die folgenden Möglichkeiten:

Stundung §§ 3 ff. BErhGs

Durch die Stundung wird die Fälligkeit des Anspruchs hinausgeschoben. Eine Stundung kommt in Betracht wenn die sofortige Einziehung eine erhebliche Härte bedeuten würde, d. h. wenn Zahlungsschwierigkeiten bestehen oder wenn solche durch die Einziehung entstehen würden und wenn die Realisierung des Anspruchs durch die Stundung nicht gefährdet wird.

Letzteres wäre u. a. Fall, wenn:

  • das Mahnverfahren in den letzten Monaten häufig durchgeführt wurde oder
  • eine Stundungsvereinbarung bereits früher nicht eingehalten wurde oder
  • der Wohnsitz im Ausland liegt oder dorthin verlegt werden soll oder
  • die Zahlungsschwierigkeiten nicht nur vorübergehend sind oder
  • Pfändungsbeschlüsse anderer Gläubiger vorliegen.

Die Beiträge bei der Stundung werden verzinst (vgl. §§ 3 f. BErhGs). Für die Stundung ist ein Antrag erforderlich. Die Entscheidung unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen.

Befristete Niederschlagung § 6 BErhGs
Unter bestimmten Umständen kommt eine befristete Niederschlagung in Betracht. Sie stellt einen vorübergehenden Verzicht auf die Weiterverfolgung der Ansprüche dar. Da die Maßnahme verwaltungsintern ist, ist kein Antrag des Anspruchsgegners notwendig. Eine befristete Niederschlagung kommt infrage, wenn die Einziehung der Beiträge aufgrund wirtschaftlicher Verhältnisse nicht erfolgversprechend ist und eine Stundung nicht in Betracht kommt. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind in regelmäßigen Abständen zu prüfen. Eine Verjährung soll verhindert werden.

Es wird unterschieden zwischen laufenden und geschlossenen Beitragskonten. Letztere sind Konten, zu denen der Arbeitgeber in den letzten sechs Monaten meldepflichtige Beschäftigte nicht mehr gemeldet hat. Bei Selbstzahlern, wenn keine laufende Mitgliedschaft zugrunde liegt.

Unten stehende Voraussetzungen gelten

  1. bei geschlossenen Beitragskonten, wenn die Kosten im Bezug zum Anspruch unverhältnismäßig hoch wären,
  2. bei nicht geschlossenen Beitragskonten zu GSVB, wenn der Beitragsanspruch mehr als das 6-fache des Beitragssolls wäre, gemessen an einem 12-Monats-Zeitraum,
  3. bei Ansprüchen, die nicht GSVB sind und bei denen die Beitragskonten nicht geschlossen sind.

Voraussetzungen sind u. a.

  • die Zwangsvollstreckung war mindestens einmal erfolglos oder
  • die Eidesstattliche Versicherung bzw. die Vermögensauskunft wurde abgegeben oder
  • der Aufenthaltsort des Anspruchsgegners ist nicht bekannt.

Unbefristete Niederschlagung § 7 BErhGs
Eine unbefristete Niederschlagung kommt infrage, wenn die Einziehung auf Dauer keine Erfolgsaussichten hat. Wenn sich die finanzielle Situation gebessert hat, ist eine erneute Einziehung zu versuchen. Eine unbefristete Niederschlagung ist nur bei fälligen Ansprüchen möglich oder wenn sie durch Verwaltungsakt bindend und unanfechtbar festgestellt sind.

Voraussetzungen sind u. a.

  • die Zwangsvollstreckung wird auf Dauer keinen Erfolg haben oder
  • die Eidesstattliche Versicherung bzw. die Vermögensauskunft wurde erneut abgegeben oder
  • die Kosten sind im Verhältnis zum Anspruch außerordentlich hoch.

Besondere Niederschlagung § 8 BErhGs
Bei Kleinstbeträgen unter 4% der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV wird auf Vollstreckungsmaßnahmen verzichtet. Der Anspruch kann unbefristet niedergeschlagen werden. Dies gilt nur für geschlossene Beitragskonten.

Erlass § 9 BErhGs
Durch einen Erlass wird auf einen fälligen Anspruch ganz oder teilweise, endgültig verzichtet. Der Erlass ist nur möglich, wenn eine Stundung oder ein Vergleich (s. u.) nicht infrage kommen. Ein Antrag ist zwar nicht erforderlich, doch in der Regel notwendig, da die jeweiligen Umstände der Krankenkasse nicht bekannt sein werden. Vorgebrachte Gründe müssen belegt werden. Über einen Erlass ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Er ist durch Verwaltungsakt bekannt zu geben.

Mögliche Gründe:

  • persönliche oder sachliche Billigkeitsgründe insbesondere
  • wenn das wirtschaftliche Fortbestehen oder der notwendige Lebensunterhalt des Anspruchsgegners gefährdet wäre.

Vergleich § 10 BErhGs
Ein Vergleich ist nur möglich, wenn dies wirtschaftlich und zweckmäßig ist. Ein Antrag ist erforderlich. Die Wirtschaftlichkeit ist beispielsweise dann gegeben, wenn höhere Zahlungen zu erwarten sind, als bei Vollstreckungsmaßnahmen oder einem Insolvenzverfahren erreicht werden können.

Da ich die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ganz genau kenne, weiß ich nicht welche Möglichkeit für Ihren Bruder ganz genau in Betracht kommt. Sie sollten aber inhaltlich mit der Krankenkasse verhandeln.

Aber auch wenn dies alles fehlschlägt, kann Ihr Bruder wieder sofortigen vollen Krankenversicherungsschutz erlangen. Er müsste um den vollen Leistungsausspruch wieder zu erlangen, eine – wenn auch langlaufende – Ratenzahlung mit der TKK vereinbaren. Die TKK muss diesem Begehren nachkommen. Dann würden allerdings die vollen Rückstände geschuldet. Sobald das Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung in Kraft getreten ist, dies ist der 1.8.2013, muss die TKK dann die Rückstände neu berechnen. Dies kommt dann Ihrem Bruder zu Gute. Zur zeit gilt dieses Gesetz noch nicht.

Bei der vorliegenden Antwort, welche ausschließlich auf Angaben des Kunden basiert, handelt es sich um eine erste rechtliche Einschätzung des Sachverhaltes zum Zeitpunkt der Anfragestellung. Diese kann eine umfassende Begutachtung nicht ersetzen. Durch Hinzufügen oder Weglassen relevanter Informationen kann die rechtliche Beurteilung völlig anders ausfallen.

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